Skip to content Skip to left sidebar Skip to footer

Die Georg-Schumann-Str. 197

Im Jahre 1895 hatten zwei Möckernsche Unternehmer, der Dampfsägewerksbesitzer August Wehse und der Maurermeister Friedrich Spahlholz, auf einem Feld, das bislang im Besitz der Ökonomischen Sozietät war, die Anlage des südlichen Teils der jetzigen Faradaystraße beantragt. Sie sollte entlang der westlichen Seite des Grundstücks, neben der damaligen Wiskeschen Gärtnerei verlaufen. 1896, nach der Fertigstellung der Straße, wurde die östliche Straßenseite komplett parzelliert. Dabei entstanden an der damaligen Halleschen Straße die Bauplätze für das Eckhaus Nr.201 und die Nr.199 und 197. Diese drei Baustellen sollen in den folgenden his torischen Beiträgen betrachtet werden.

Friedrich Spahlholz erwarb 1896 die Parzelle Nr.197 und beantragte die Errichtung eines Wohngebäudes mit Bäckerei, dazu ein Bäckereinebengebäude und ein Werkstattgebäude. Dabei wurde ihm von der Gemeinde auferlegt, den Schornstein des Backofens in genügender Höhe aufzuführen, damit es keine Rauchbelästigungen für die benachbarten Gebäude gab – man hatte bereits ungute Erfahrungen machen müssen. Das vierstöckige Haus besaß eine Putzfassade mit nur sparsamen architektnischen Schmuckelementen, die Traufhöhe war niedriger, als es später in den Bauvorschriften vorgeschrieben wurde. In jeder der oberen Etagen befanden sich zwei Wohnungen. Im Erdgeschoss war links der Bäckerladen, neben der Durchfahrt war ursprünglich ein weiterer Laden vorhanden. Bei dessen späterem Rückbau wurde ein größeres, ziemlich unpassendes Fenster eingesetzt.

1897 erwarb die verehelichte Bertha Schemmel den fertiggestellten Neubau, der Bäckermeister Robert Schemmel übernahm die Bäckerei. Das in dem zweiten Laden eingerichtete Wasch- und Plättgeschäft wurde von Mitgliedern der Familie Schemmel betrieben. Über die Belegung des ehemals hinten im Hof querstehenden Werkstattgebäudes ist nur wenig Näheres bekannt: 1906/1907 befand sich hier für kurze Zeit die Möckernsche Buchdruckerei Schumann & Trommer, 1910 – 1915 führte Richard Sajadatz eine Böttcherei. 1909 übernahm der Bäckermeister Emil Pfrötzschner die Bäckerei, 1911 der Bäckermeister Otto Steinbach, 1912 der Bäckermeister Richard Leistner. 1920 kaufte der Bäckermeister Willy Oschatz Haus und Bäckerei. 1933 folgte ihm der Bäckermeister Ewald Hertzsch. 1938 übernahm der Konditor- und Bäckermeister Walter Krüger die Bäckerei und führte sie bis in die 1960er Jahre. Diese Bäckerei wurde im eisigkalten Winter 1947/1948 in der Schulchronik der 39. Grundschule (jetziges Heisenberg-Gymnasium) erwähnt. Die Schule hatte im Januar keine Kohlen mehr, deshalb sollten bei Privatleuten, in Gaststätten, Betrieben usw. beheizte Räume kostenlos angemietet werden. Und so kam die Mädchenklasse 4a donnerstags 8 – 14 Uhr nacheinander in 2 Gruppen in die warme Backstube in der Nr.197 zur Verteilung und Besprechung von Schulaufgaben. Dem Gebäude fehlte allmählich jegliche Instandhaltung, es verfiel mehr und mehr.

Ab der Mitte der 1980er Jahre beeinträchtigte nicht nur die Nr. 197 das angestrebte großartige Bild der Georg-Schumann-Straße als Magistrale. Der Bürgermeister des damaligen Stadtbezirkes Nord, Günter Fuchs, schilderte am 27.09.1989 in einem Pressegespräch das grundsätzliche Problem: „Wir beherrschen es mit den Mitteln unseres Stadtbezirkes nicht, ein Gebäude aus einer Häuserzeile zu entnehmen und zu ersetzen.“ Das Wrack blieb also erst einmal stehen.

Im Jahr 1995 wurden die Hintergebäude weitgehend abgebrochen, und es begann der umfänglich abgesicherte Abriss des Vorderhauses. 1996 war der Neubau fertiggestellt mit getönter, glatter Putzfassade, durchgehender Ladenzone und Tordurchfahrt, vier Obergeschossen und ausgebautem Dachgeschoss. Die schlichte Gestaltung der Straßenfassade ist in ihren Proportionen dem bestehenden Häuserensemble angepasst. Die Belegung des Ladens wechselte in den ersten Jahren mehrfach. Seit 2017 befindet sich hier der Kosmetiksalon „Lotus“.

Text: Ulrike Kohlwagen